Eine lichtdurchflutete Kapelle bildet das Herz des Priesterseminars in Villars-sur-Glâne bei Freiburg. Das vor 30 Jahren errichtete Gebäude beherbergt derzeit nur noch fünf Priesteranwärter. Das Bild aus dem Uechtland prägt die meisten Zentren zur Ausbildung junger römisch-katholischer Priester in der Schweiz. Religionswissenschaftler sagen voraus, dass es im Jahr 2029 einen Drittel weniger Priester als 2009 geben wird. Die Experten sowie progressive Stimmen aus den eigenen Reihen fordern eine offene Diskussion über die Zukunft der katholischen Kirche. In Basel haben Katholiken sogar die Abschaffung des Zölibats und die Zulassung von Frauen als Priesterinnen gefordert.
In einer Studie des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts in St. Gallen von Ende 2011 malen die Autoren das Bild einer ausgedünnten und überalterten Priesterschaftfür die Zukunft. Die Lücken müssten mit nicht-ordinierten Mitarbeitern gefüllt werden, so eine der Schlussfolgerungen.
„Wir erstellten eine Prognose für die nächsten 20 Jahre. Und es gab keine grosse Überraschung: Die Zahl der Priester wird fast überall abnehmen“, fasst Arnd Bünker gegenüber swissinfo.ch zusammen. Der Institutsdirektor erklärt dies mit dem schlichten Faktum, dass mehr Priester sterben als neue ordiniert werden.
„Es handelt sich um ein altes Problem, in dessen Zentrum die Berufung steht. Der Stellenwert von Religion als Institution hat sich stark geändert. Die alten Strukturen der Berufung sind verschwunden“, stellt Bünker fest. Die Frage sei, welchen Platz die Kirche im heutigen gesellschaftlichen Leben einnehme. „Das Zölibat ist mit ein Grund, aber nicht der entscheidende“, glaubt der Institutsleiter.
1991 gab es in der Schweiz noch 177 junge Anwärter für das Priesteramt. 20 Jahre später waren es nur noch deren 88. Bei ihrem Blick in die Kristallkugel gingen die Autoren der Studie davon aus, dass zumindest die Zahl der Berufungen stabil bleiben werde.
Als unbekannte Faktoren wertet Arnd Bünker mögliche Änderungen bei den Aufnahmebedingungen sowie die längerfristigen Folgen der enthüllten Fälle von sexuellen Missbräuchen, begangen durch Priester.
Wenn Gottes Ruf leiser wird
Nicolas Glasson, Rektor des Priesterseminars in Villars-sur-Glâne, hofft, dass die Talsohle bei der Ordination junger Priestern bald erreicht oder gar schon durchschritten sei.
„In Frankreich hat sich in den letzten 30 bis 40 Jahren das gezeigt, was wir gegenwärtig in der Schweiz erleben“, so Glasson gegenüber swissinfo.ch. Nachdem sich die Zahlen im Nachbarland in den letzten Jahren stabilisiert hätten, seien sie dort sogar wieder um 10% gestiegen.
Diesem „Turnaround“ war in Frankreich eine PR-Kampagne voraus gegangen, deren Ziel es war, junge Männer mittels Flugblättern, die in Universitäten, Restaurants, Kinos etc. aufgelegt waren, wieder vermehrt für den Priesterberuf zu gewinnen. Der Werbefeldzug war laut der Kirche ein Erfolg.
Zurück in die Schweiz: Die Seminaristen Mikhaël Boichat, 22, und Francois Perroset, 29, sind in Villars-sur-Glâne im dritten resp. vierten Studienjahr. Beide machen gesellschaftliche Trends für die sinkenden Zahlen bei den berufenen Priestern verantwortlich.
Gott berufe immer noch junge Männer ins Priesteramt, glauben Boichat und Perroset, nötig sei deshalb eine vermehrte Unterstützung durch Familie und Freunde.
Problem gemeinsam lösen
Auf der Suche nach Lösungen gingen die sechs Schweizer Bistümer laut Arnd Bünker verschiedene Wege.
Am akutesten präsentiert sich die Lage im Bistum St. Gallen „Es weist etwa gleich viele Laienpriester wie ordinierte Priester auf. Weil diese aber zu den jüngsten in der Schweiz zählen, könnte man sagen, dass St. Gallen sehr gut mit der Situation umgeht“, sagt Bünker.
Andere Diözesen versuchen, Priesternachwuchs aus dem Ausland zu rekrutieren. Auf längere Sicht kann dies laut Bünker aber keine Lösung sein („Wir müssen darüber nachdenken, ob eine Kirche fähig ist, sich selbst zu reproduzieren, also zu überleben“, sagt er, um nach zu schieben: „Unsere lokalen Kirchen sind nicht nachhaltig.“
Zum mangelnden Nachwuchs gesellen sich weitere Probleme kultureller und sprachlicher Art. Konkret geht es um Akzeptanz und gar Rassismus.
„Damit sind einerseits Priester aus dem Ausland konfrontiert. Sie stellen für die Gemeinden der Gläubigen eine Herausforderung dar, weil beide Seiten zueinander finden müssen“, so Bünker weiter. Andererseits würden „importierte Priester“ die Vielfalt lokaler Kirchen erweitern und andere Sichtweisen einbringen.
Frischer Wind
Nach St. Gallen weist das Bistum Basel, zu dem auch Bern zählt, den grössten Priester-Aderlass der letzten 20 Jahre auf. Vor fünf Jahren war ein Plan zur pastoralen Entwicklung aufgestellt worden. Darin ist vorgesehen, das Bistum bis 2014 in neue Pastoralräume aufzuteilen. In diesen soll die Verantwortung weiter bei den ordinierten Priestern liegen, Gottesdienste sollen jedoch auch von Laien durchgeführt werden können.
Diese Idee habe sich in Deutschland bereits bewährt und fasse auch in der Schweiz immer mehr Fuss, sagt die Theologin Monika Hungerbühler, im Bistum Basel Co-Leiterin des Dekanats Basel-Stadt und Vertreterin eines fortschrittlichen Kurses innerhalb der katholischen Kirche.
„Die Idee ist, Pfarreien zusammenzufassen, selbst über Kantonsgrenzen hinweg“, sagt Hungerbühler. Folglich müsse auch entschieden werden, wo Gottesdienste abzuhalten seien und wo Sozialarbeit geleistet werden müsse.
Nicolas Glasson geht davon aus, dass Gottesdienste nicht mehr in jedem Dorf stattfinden werden, sondern in pastoralen Zentren, die mehrere Gemeinden bedienten.
„Wir wollen allen Mitgliedern die Taufe, ein kirchliches Begräbnis und die Hochzeit anbieten, aber wir werden bald nicht mehr in der Lage sein, dies alles zu tun.“ Seine Vision sind Organisationseinheiten, die nicht mehr geographisch definiert sind, die aber stattdessen von der Zahl der verfügbaren Priester bestimmt werden.
„Wir haben das Gefühl, dass wir uns im Rückwärtsgang befinden. Als Priester, der noch nicht so alt ist, will ich aber vorwärts gehen“, sagt Glasson und lacht.
Monika Hungerbühler will noch einen Schritt weiter gehen. Die Ko-Präsidentin eines Komitees hatte im Januar bei der Basler Synode eine Initiative eingereicht, in der einerseits verlangt wird, dass Frauen das Priesteramt bekleiden dürfen, während andererseits das Zölibat abgeschafft werden soll.
Ruf nach Drittem Konzil
Vor 50 Jahren habe das Zweite Vatikanische Konzil einen Schub für Reformen ausgelöst, nun sei es Zeit für ein Drittes Konzil gekommen, ist Hungerbühler überzeugt.
Ihr schweben flexible synodale Strukturen vor, die den verschiedenen Länder auch verschiedene Wege in Sachen Führung und pastorale Organisationen offen liessen.
Deshalb sei es wichtig, dass immer mehr Pfarreien und Diözesen in Rom für ein Drittes Konzil plädieren würden, so die Theologin.
„Ich hoffe sehr, dass wir in 30 Jahren verheiratete Priester und Frauen als Priesterinnen und Diakoninnen haben werden“, sagt Hungerbühler. Das ist aber noch nicht alles. Ebenso wünscht sie sich einen mutigen Bischof, der verkündet, es gebe neben Männern auch Frauen, die für das Priesteramt bestens geeignet seien.
„Solches ist unter dem gegenwärtigen Kirchenrecht nicht erlaubt. Aber mit einem Dritten Vatikanischen Konzil und etwas frischem Wind könnte vielleicht ein Weg gefunden werden, das zu ändern.“
Morven McLean, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)