Der Basler Bischof Felix Gmür spricht über aufmüpfige Gläubige, Geschiedene und Papst Franziskus.
Herr Gmür, die Synoden der römischkatholischen Kirchen (RKK) Basel-Stadt und Baselland haben im Juni die Gleichstellungsinitiative angenommen. Weshalb nehmen Sie erst jetzt, ein halbes Jahr später, Stellung?
Felix Gmür: Weil ich die Institutionen und deren Abläufe respektiere. Die RKK hat mich um eine Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist gebeten. Daran habe ich mich gehalten.
Sollen Frauen als Priesterinnen zugelassen werden?
Das ist jetzt nicht die Frage.
Wir stellen sie Ihnen aber jetzt.
Dann diskutieren wir aber nicht über die Gleichstellungsinitiative.
Darauf gehen wir später ein.
Es ist besser, wenn wir zuerst über die Initiative sprechen. Dafür sind Sie ja gekommen. Sonst machen wir ein Durcheinander. Schon im Initiativtext hat es ein gewisses Durcheinander. Das muss man entflechten.
Wo sehen Sie ein Durcheinander?
Das Problem ist, dass der vorgeschlagene Verfassungstext sein Rechtsfeld verlässt. Die Behördenmitglieder der Kirche werden dazu aufgefordert, auf die Weihe von Frauen hinzuwirken. Das kann sie in Gewissenskonflikte bringen, weil die Weihe von Frauen in Lehre und Recht der Kirche nicht vorgesehen ist, sie widerspricht dem Kirchenrecht sogar. Im Anschluss an die Schöpfungsgeschichte hält die Kirche daran fest, dass Männer und Frauen verschieden sind. Die wahre Gleichheit besteht darin, dass man ihre Verschiedenheit anerkennt.
Basler Kirchenmitglieder wollen das ändern. Weshalb sollten sie dadurch in Gewissenskonflikte kommen?
Die Mitwirkungsrechte sind in der Kirche anders ausgestaltet als im Schweizer Rechtssystem. Alle Gläubigen können unterbreiten, mitteilen und wünschen. Aber sie können keine konkreten Schritte unternehmen. Sie können nicht auf etwas hinwirken, wie es im vorgeschlagenen Verfassungstext heisst. Der Teufel liegt im Detail. Der Verfassungstext kann zu Interpretationsproblemen und somit zu Streit führen.
Wie würden Sie den Text formulieren?
Das Anliegen der Initianten ist, das Recht in Bezug auf die Weihe zu ändern. Die Gläubigen können ihrem Hirten, das ist in diesem Fall der Bischof, ihre Anliegen mitteilen. Sie können dem Kirchenrat den Auftrag geben, das Anliegen als Briefträger zu übermitteln. Die Kirchenräte sollen den Dialog in ihrer Zuständigkeitskompetenz suchen. Aber für diese Frage sind sie nicht zuständig.
Und was halten Sie inhaltlich von der Initiative?
Inhaltlich werden einige Dinge vermischt. Es gibt einen Unterschied zwischen der Zulassung von Frauen und von verheirateten Männern zum Priesteramt. Dass der Mann ledig oder verwitwet sein soll, ist eine disziplinarische Frage. Dass die Frau nicht zur Weihe zugelassen wird, ist hingegen eine Frage des Glaubens. Biblisch begründet mit der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau. Das ist die Denkweise der Kirche.
Eine Diskriminierung.
Das Kirchenrecht hat einen völlig anderen Zugang, den wir nicht so einfach verstehen. Das Kirchenrecht kennt keine Menschenrechte. In unserem zivilen Recht geht es um die Rechte einzelner Personen. Im Kirchenrecht hingegen steht nicht die einzelne Person im Zentrum, sondern die Kirche als Gemeinschaft. Diese Denkweise steht quer zum zivilen Recht und ist deshalb schwierig zu vermitteln. Frauen werden nicht diskriminiert. Eine Diskriminierung bedeutet, dass ich ihnen ein Recht ausdrücklich nicht zugestehe, auf das sie Anspruch hätten. Es gibt auch kein Recht des Mannes auf Priesterweihe. Es ist eine Bedingung, Mann zu sein, um Priester zu werden, aber es gibt kein Recht. Das ist eine andere Sichtweise.
Diese Sichtweise ist nicht nur für Aussenstehende unverständlich, sondern offensichtlich auch für Katholiken. Was ist Ihre persönliche Haltung?
Ich persönlich kann mir eine Frau am Altar vorstellen, sehe aber Schwierigkeiten in der Umsetzung. Für die Kirche wäre ein solcher Prozess eine Zerreissprobe. Ich befürchte Spaltungen. Zuerst sollte man über die notwendige Voraussetzung sprechen, dass ein Mann zölibatär leben muss, um zum Priester geweiht werden zu können.
Zuerst wollen Sie das Problem der Männer angehen?
Ja, denn beim Zölibat geht es um disziplinarische Fragen, die sich einfacher diskutieren lassen als Glaubensfragen. Aus meiner Sicht muss es keine notwendige Voraussetzung darstellen, dass ein Priester nicht verheiratet sein darf.
Ist für Sie die Gleichstellungsinitiative ein Anlass, die Voraussetzungen für das Priesteramt neu zu diskutieren?
Sie ist ein Anlass, mit Ihnen ein Interview zu führen. Wir diskutieren das kirchenintern aber schon lange.
Wie erleben Sie die Gespräche mit den Kirchenbehörden?
In der Regel sind diese Gespräche sehr offen; bis zu einem gewissen Punkt, an dem es nicht mehr weiter geht. Die ganze Frage kann man nicht nur in der kleinen Schweiz lösen, die weniger als ein halbes Prozent der Katholiken weltweit ausmacht. Wir sind extrem mini. Schon nur in Europa werden die Fragen kontrovers betrachtet. Ich glaube, dass es mit der neuen Offenheit des Papstes, der über alle Probleme diskutieren will, vielleicht etwas einfacher wird.
Die Gleichstellungsinitiative kommt aus der Region Basel. Ist das typisch Basel?
Ich bin etwas unschweizerisch der Meinung, dass die Basler nicht so wahnsinnig anders sind als Berner oder Luzerner. In diesen Kantonen wurden bereits ähnliche Initiativen gestartet. Reformbewegungen von unten sind aber etwas typisch schweizerisches.
Es gibt neben der Gleichstellungsinitiative auch andere Reformbemühungen in der Kirche, zum Beispiel die Pfarrei-Initiative. Im Frühjahr haben Sie mit Involvierten Gespräche geführt. Was hat das gebracht?
Wir konnten gewisse Themen und Nöte genauer identifizieren. Ich weiss nun, in welche Richtung gewisse Seelsorger gehen möchten, und sie kennen umgekehrt auch meine Anliegen. Der persönliche Kontakt im Rahmen dieser Gespräche hat das Vertrauen gestärkt. Zudem werden weitere Gespräche stattfinden.
Wo besteht der dringendste Handlungsbedarf?
Bei unseren Strukturen, die aus den 1950er-Jahren stammen. Sie passen nicht mehr in die Gegenwart. Basel-Stadt ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt heute immer noch viele Pfarreien, Räte und Gremien, obwohl sich die Anzahl der Gläubigen seit den 1970er-Jahren massiv verringert hat.
Würden Sie die Anzahl der Pfarreien senken?
Ja, grundsätzlich schon. Bischof Kurt Koch hatte einen sinnvollen Grundsatz: Er sagte, dass er keine Pfarrei aufhebt, wenn die Leute sich dagegen wehren. Daran halte ich mich. Manchmal sind die Leute noch in einer anderen Zeit, ich manchmal auch. Aber wir alle müssen uns mit den aktuellen Realitäten konfrontieren. Die Pfarreien müssen so gross sein, dass sie den Lebensräumen entsprechen.
Ein Priester sagte uns: Eine grosse Herausforderung sei der Umgang mit Geschiedenen und Wiederverheirateten. Es sei kaum praktikabel, diesen die Sakramente zu verweigern. Was sagen Sie dazu?
Es gab dazu einen Austausch im Rahmen der Gespräche zur Pfarrei-Initiative. Ich habe selbst noch nie jemanden in der Kirche gefragt, ob er geschieden oder wiederverheiratet sei. Wer zur Kommunion kommt, erhält diese auch. Und selbst wenn ich von jemandem wüsste, dass er wiederverheiratet ist, wäre der Gottesdienst am Sonntagmorgen der falsche Ort, um über den Zivilstand dieser Person zu sprechen. Das würde ich vielleicht nachher tun. Im individuellen Fall braucht es einfach die pastorale Klugheit des Seelsorgers.
Ein Widerspruch, der zur katholischen Tradition gehört: Dass in der Praxis etwas anders gehandelt wird, als die Regeln es vorsehen.
Ich würde sagen, es gehört zur katholischen Tradition, Regeln zu haben und sich auch daran zu halten. Ähnlich wie in einer Familie. Wir wissen aber, dass sich nicht alle an diese Regeln halten können und dass es im Alltag Umstände gibt, die nicht vorgesehen oder nicht voraussehbar waren. Deshalb gilt es, für das Wohl des Einzelnen so zu sorgen, dass es der Gemeinschaft gleichzeitig nicht schadet. Das ist kein Widerspruch, das ist der Fluss dieses Lebens.
Aber der Gemeinschaft würde es doch auch nicht schaden, wenn man alle paar Jahrhunderte die Regeln anpassen würde.
Woran anpassen?
An veränderte gesellschaftliche Realitäten. Zum Beispiel daran, dass die Anzahl der Wiederverheirateten in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat.
Grundsätzlich gilt: Die Norm, an die wir uns anpassen, ist das Evangelium. Ich bin dem Evangelium verpflichtet, gleichzeitig aber auch einzelnen Gläubigen. Das kann zu Konflikten führen. Aber die Idee ist nicht, dass sich die Kirche nur den Leuten und ihren aktuellen Bedürfnissen anpasst. Die Frage stellt sich immer wieder, wie wir den Kern des Evangeliums herausschälen und in die heutige Zeit übertragen können. Heute ist das jedoch besonders schwierig, weil wir in einer Umbruchphase sind.
Was für eine Umbruchphase?
Das Individuum wurde sehr viel wichtiger gegenüber allen Formen von Gemeinschaft. Die Bindung von Menschen zu Gruppen nimmt ab und wird temporärer. Die Kommunikation wurde extrem schnell und vergänglich. Das macht die Kontextualisierung in meinem Umfeld schwierig.
Diese Woche wurde bekannt, dass der Papst eine Umfrage bei den Bischöfen zum Thema Ehe und Familie macht. Was halten Sie davon?
Ich finde diese Idee sehr gut, eine Erhebung zu machen, um einmal herauszufinden, was überhaupt Sache ist. Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken.
Zum Beispiel der Tatsache, dass es viel mehr Geschiedene gibt?
Ja, es gibt mehr Geschiedene, es gibt mehr Singles, es gibt mehr Partnerschaften ausserhalb der Ehe, es gibt weniger Kinder, es gibt mehr alte Leute, alle Menschen sind mobiler, die Freizeitangebote sind viel breiter. Grund dafür ist eine extreme Verschiebung von Freizeit und Arbeitszeit. Heute haben die Leute viel mehr freie Zeit, die sie nutzen können. Darüber müssen wir nachdenken im Hinblick auf die Bischofssynode, die in einem Jahr stattfindet.
Ist diese Synode aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit, auf internationaler Ebene über Reformen zu diskutieren?
Ja. An der letzten Bischofssynode habe ich bereits den Umgang mit Geschiedenen angesprochen. Manche Bischöfe fanden das gut, andere weniger. Es gab dann eine Priorisierung der Themen, da ist mein Anliegen leider nach hinten gerutscht. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Bischöfe aus Syrien oder Afrika anwesend waren. Wenn es dort Krieg gibt, ist der Umgang mit Geschiedenen nicht ihr vordringlichstes Problem. Das habe ich auch verstanden.
Wenn Sie sich an der Bischofskonferenz für Reformen einsetzen, haben Sie eine andere Rolle als hier, wo Sie diese bekämpfen.
Das sehe ich anders. Ich bin immer ein Vermittler. Als Bischof ist es meine Aufgabe, die Rahmenbedingungen, die von der Weltkirche vorgegeben sind, so hinunterzubrechen, dass es für unser Bistum gut ist. Wenn es im internationalen Kontext eine Möglichkeit gibt, die Anliegen des Bistums Basel anzubringen, dann tue ich das natürlich. Zum Beispiel erkläre ich, dass es für unsere Gläubigen sehr schwer verständlich ist, dass das Zölibat eine Voraussetzung ist, um Priester zu werden. Wir müssen wirklich darüber nachdenken, ob diese Voraussetzung dem Auftrag der Kirche dient. Wenn wir herausfinden, dass dies dem Auftrag der Kirche mehr schadet als nützt, müssen wir schauen, was wir ändern können.
Sie sind jetzt seit knapp drei Jahren im Amt. Mussten Sie sich zu häufig mit Reformideen befassen?
Nein, das sehe ich nicht so. Das Bistum Basel ist ein komplexes Konstrukt. Ich als Bischof nehme mich einfach der Fragen an, die sich am dringlichsten stellen.
Interview: Aline Wanner, Andreas Maurer, Schweiz am Sonntag