Bibel und Ordenstraditionen gehen von der Gleichheit aller und dem Recht der Mitbestimmung aus. «Es gibt nicht mehr Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau.» Das Neue Testament betont die Gleichheit der Menschen und legt damit ein Fundament für eine demokratische Ordnung. Der Luzerner Kirchenrechtsprofessor Adrian Loretan zeigte im Basler «Forum für Zeitfragen» auf, was die christliche Tradition zur Demokratieentwicklung beitrug.
Die christliche Tradition hat mehr zur Entwicklung von Demokratie beigetragen, als man es angesichts der hierarchisch verfassten römisch-katholischen Kirche erwarten würde, meinte Adrian Loretan zu Beginn seines Referats. Das Neue Testament spreche vom Priestertum aller. So müsste man doch von «Gleichwürden» statt von «Hochwürden» sprechen. Paulus nenne am Schluss des Römerbriefs Frauen und Männer Apostel. In seinen Gemeinden hatten – entgegen der gesellschaftlichen Ordnung – Frauen und Männer Leitungsfunktionen. Die Vorstehenden wurden von der gesamten Gemeinde gewählt, und auch zentrale Glaubensfragen seien gemeinsam entschieden worden, etwa der Grundsatz, dass auch Nichtjuden Christen werden können.
Die Bibel, so Loretan, spreche zwar nicht von Demokratie, aber sie fordere die Gleichheit aller. Erst mit der konstantinischen Wende seien die kirchliche Ordnung der staatlichen angepasst und damit die Frauen aus Leitungsämtern gedrängt worden. Der Grundsatz, dass wichtige Entscheide gemeinsam gefällt werden, war aber bis zum Konzil von Basel (ab 1431) wenigstens in der Theorie gültig.
In einigen religiösen Gemeinschaften wie bei den Dominikanern hätten gemeinsame Entscheide zu allen Zeiten einen hohen Stellenwert gehabt, erläuterte Loretan. Es war dann mit Bartolomé de Las Casas (1484–1566) ein Dominikaner, der im Rahmen seines Einsatzes für die Rechte der Indios erste Schritte zu einer Demokratietheorie getan habe. In den «Principia quaedam» bestritt er, dass es ausser der Demokratie eine vernünftige Herrschaftslegitimation gebe. Las Casas sei davon ausgegangen, dass jeder Mensch eine Würde habe, die ihm nicht abgesprochen werden könne. Dazu gehöre das Recht auf Selbstbestimmung. Der Mensch müsse in die Herrschaft über sich einwilligen können. Damit wandte sich Las Casas frontal gegen die Begründung der Macht «durch Gottes Gnaden».
Bartolomé de Las Casas sei ein frühneuzeitlicher Denker gewesen, der Menschenrechte postuliert habe und damit Grundlagen für eine spätere Demokratietheorie geschaffen habe. Er habe sich auf die Naturrechtslehre gestützt, erklärte Loretan. In der Zeit der Religionskriege, als sich Macht nicht mehr religiös legitimieren liess, konnte daraus der säkulare Staat entstehen. Dass es ein Dominikaner war, der eine wichtige Vorarbeit für die Demokratie geleistet hat, ist für Loretan kein Zufall. Als Rechtsgelehrter kannte er den römischen Grundsatz, dass von allen entschieden werden muss, was alle angeht. Als Kirchenmann kannte er die Bibel, als Dominikaner war er gewohnt, dass Entscheidungen gemeinsam getroffen werden.
Alois Schuler, Kirche heute