Kommentar von Josef Hochstrasser

Die Nachricht:

«Der Sonntag» schrieb in der letzten Nummer über die Gleichstellungsbemühungen in der katholischen Kirche: Zwei Initiativkomitees aus den beiden Basler Halbkantonen fordern die Zulassung von Frauen, aber auch von Schwulen zum Priesteramt.

Der Kommentar:

Die erste Instanz ist Gott. Aber mit ihm darf niemand argumentieren. Weder ein Papst noch irgendeine Katholikin weiss, was Gott zu schwulen Priestern meint. Der Allerhöchste hat nichts zum Pflichtzölibat verlauten lassen, keine Devise zu verheirateten Priestern herausgegeben, die Weihe von Frauen zu Priesterinnen nicht entschieden. Gott kann der römisch-katholischen Kirche bei diesen ungelösten Fragen nicht weiterhelfen.

Die Bibel ist an zweiter Stelle anzufragen. Auch sie liefert keine Gewissheiten. Es ist nicht einmal sicher, ob Jesus nicht vielleicht doch verheiratet war oder zumindest in einer Beziehung lebte. Die katholische Kirche kennt denn auch bis zum II. Laterankonzil von 1139 verheiratete katholische Geistliche.

Als dritte Definitionsmacht fungiert das kirchliche Lehramt. Seit der Synode von Elvira im 4. Jahrhundert forderte die Kirchenführung mit immer verbindlicheren Dekreten den reinen, ehelosen Priesterstand. Aufgrund der Spaltung in eine Klerikerklasse und den gewöhnlichen Laienstand ist gegen die Hierarchen nur ganz schwer anzukommen.

Bleibt als letzte Gestaltungsquelle der Heilige Geist, an Pfingsten eben wieder ausgegossen, aber notabene: über alle Gläubigen ausgeschüttet. Und in diesem Heiligen Geist, den die Kirchenfürsten weder kontrollieren noch in seiner Wirkmacht behindern können, liegt die grosse Chance auf Veränderungen.

Zwei Initiativkomitees aus den beiden Basler Halbkantonen wollen diese Chance per Gleichstellungsinitiative packen. Sie beabsichtigen, die kirchlichen Behörden zu zwingen, sowohl verheiratete Männer als auch Frauen und selbst Homosexuelle zum Priesteramt zuzulassen. Als einer, der die Hammerschläge der Zölibatsgesetzgebung schwer zu spüren bekam, stehe ich voll und ganz hinter den Anliegen der Initianten. Den Weg allerdings gehe ich nicht mit ihnen.

Niemandem käme es in den Sinn, eine Oberhoheit der Kirche über den Staat im Sinne einer Theokratie nach islamistischem Vorbild gutzuheissen. Genau so verheerend scheint mir umgekehrt der Versuch des Staates, innerkirchliche Fragen der Disziplin oder gar des Glaubens zu entscheiden. Der Staat hat sich um eine funktionierende Gesellschaft zu kümmern, ohne sich dabei von einer bevorzugten Weltanschauung bestimmen zu lassen. Folgerichtig beschliesst die Kirche all ihre Angelegenheiten unabhängig und in alleiniger Kompetenz. Kirche und Staat sind vollständig zu trennen. Die da und dort schon lancierten Bemühungen, dem Islam, den Freidenkern, oder welchen weltanschaulichen Gruppierungen auch immer, öffentlich-rechtlichen Status zu verleihen, sind zu stoppen.

Eine vom Staat unabhängige Kirche könnte endlich ihre längst fällige, heilsame Entrümpelung vornehmen. Der Spreu würde sich in ihren Reihen vom Weizen trennen, angefangen bei den uninspirierten Funktionären bis hin zu den Taufscheinchristen. Die Kirche würde zurückfinden zu ihrer revolutionären Gestaltungskraft der ersten Jahrhunderte, als die Christen Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit nicht nur predigten, sondern teilweise unter erheblichen Gefahren, vor allem lebten, ehe Kaiser Konstantin in einem cleveren politischen Schachzug die Kirche zur Loyalität gegenüber dem Staat zu verpflichten wusste und ihr damit jegliche kritische Freiheit raubte.

Die katholische Kirche muss ihre Zulassungsbestimmungen zum Priesterberuf mit der Kraft aus ihren eigenen Reihen klären. Und genau daran mangelt es. Es fehlt die Innovationskraft der Christen aus den ersten Jahrhunderten. Wo sind die Gläubigen, die vom Heiligen Geist beflügelt die Praxis Jesu umsetzen, wenn nötig ohne ihre bischöflichen Oberhirten? Welche Botschaft ist entscheidender, jene aus Jerusalem oder jene aus Rom? Ich verstehe nicht, dass selbst ein hoch verdienter Theologe wie Hans Küng noch immer zu Diskussionen mit Rom aufruft, noch immer seine gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen nach innerkirchlichen Reformen erhebt. In Sachen Zulassungen zum Priestertum sind doch sämtliche Argumente seit Jahrzehnten ausdiskutiert. Es ginge schon längst nur noch darum, dass sich Gemeinden fänden, die sich endlich unter der Flagge jesuanisch motivierten Ungehorsams getrauen zu handeln.


Josef Hochstrasser verstiess als Priester gegen den Pflichtzölibat und wurde von der katholischen Kirche in den Laienstand zurückversetzt. Er arbeitet heute als reformierter Pfarrer. Bekannt wurde er auch als Biograf von Nati-Trainer Ottmar Hitzfeld.

Der Sonntag, 19.06.2011