Staatsrechtlerin Denise Buser diagnostiziert Konfliktpotenzial zwischen Religionsfreiheit und Geschlechtergerechtigkeit.
? Denise Buser, wann gerät die Religionsfreiheit mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann juristisch in den Clinch?
! Zunächst ist es wichtig, die individuelle Religionsfreiheit des Einzelnen und die kollektive Religionsfreiheit von Körperschaften wie den Kirchen auseinanderzuhalten. Die kollektive Religionsfreiheit kann mit der Gleichberechtigung in Konflikt geraten, wenn eine Frau gleich wie ein Mann Priesterin werden will. Hier stehen sich der Einzelanspruch einer Frau auf Durchsetzung ihrer Gleichberechtigung und die kollektive Religionsfreiheit einer Religionsgemeinschaft gegenüber, die im Fall der katholischen Kirche bekanntlich Frauen vom Priesteramt ausschliesst.
? Welche Gerichtsurteile machen diese Konflikte deutlich?
! Es gibt noch kein Urteil eines staatlichen Gerichts über eine Klage einer katholischen Theologin, die aufgrund des Gleichstellungsprinzips gegen die Verweigerung der Weihe zur Priesterin geklagt hat. Es gibt aber das berühmte Missio-Urteil des basellandschaftlichen Kantonsgerichts von 2007. In diesem Fall ging es um den durch die Kirche ausgesprochenen Entzug der kirchlichen Beauftragung, der Missio. Damit verbunden war die Frage, ob bei der Entlassung des Pfarrers Franz Sabo die Grundsätze des staatlichen Arbeitsrechts eingehalten worden waren. Bekanntlich stellte das Kantonsgericht in Liestal fest, dass Sabos Anhörungsrechte verletzt worden waren. Das bischöfliche Ordinariat musste akzeptieren, dass es nicht nach Belieben verfügen kann, sondern weltliches Recht zu beachten hat. Mit anderen Worten: Das weltliche Recht hat einen durchschlagenden Widerhall in der kirchlichen Sphäre gefunden und darum ist der Fall Sabo ein Parade-Beispiel für eine Art Rückkoppelungseffekt. Ähnlich könnten die Steine ins Rollen kommen, wenn es in der Gleichstellungsfrage zu einem Gerichtsfall käme.
? Das Verhältnis zwischen dem Grundrecht Religionsfreiheit und dem Gleichstellungsprinzip ist juristisch noch nicht abschliessend geklärt, weil es noch kein Urteil gibt. Wie müsste ein entsprechender Fall gestrickt sein?
! Denkbar wäre ein Gerichtsfall, bei dem die Religionsfrage eher ein Nebenschauplatz ist. Der Aufhänger könnte wiederum das Arbeitsrecht sein.Konkret: In einer katholischen Kirchgemeinde soll ein neues Lohnreglement eingeführt werden, nach dem die männlichen Pfarrer besser eingereiht werden als die weiblichen Gemeindeleiterinnen. Der einzige Unterschied: Pfarrer sind ordiniert, also geweiht, was Frauen kirchenrechtlich verwehrt ist. Wie soll aber ein unterschiedlicher Lohn begründet werden, wenn das Aufgabengebiet dasselbe ist? Man hat sich im konkreten Fall aussergerichtlich geeinigt – leider!
? Warum leider? ! Ich wäre gespannt, welche Dynamik ein Richterspruch auslösen würde, der in der katholischen Kirche das Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« für Pfarrer und Gemeindeleiterinnen gerichtlich durchsetzen würde.Aus meiner Sicht wäre dann zu erwarten, dass das Gleichstellungsprinzip kirchliches Terrain mehr und mehr durchdringen und mit der Zeit Oberwasser erhalten würde. Das wiederum dürfte Rückkoppelungseffekte auf die Diskussion der Frauenfrage in Religionsgemeinschaften haben.
? Das Gericht stünde dann vor der Frage: Ist die Religionsfreiheit oder das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts gesellschaftlich höher zu gewichten …
! …Genau. Die spannende Frage dabei wäre, wie das Gericht die Kollision von die- sen beiden an sich gleichwertigen Grundrechten beurteilt. Wie fiele die Güterabwägung aus? Welche Kriterien würde das Gericht anlegen? Haben wir es mit legitimen Zielen zu tun? Treibt man diesen Gedanken weiter, könnte das Gericht aus der Perspektive einer klagenden Seelsorgerin sagen, sie beruft sich auf das Diskriminierungsverbot und damit auf ein verfassungsmässiges Recht, das in der Bundesverfassung steht. Die Klägerin verfolgt darum ein legitimes Ziel, zumal sie mit der gleichen Ausbildung alle Voraussetzungen für den Beruf als Pfarrerin mitbringt. Nur wegen ihres Geschlechts wird ihr dies verwehrt. Auf der anderen Seite steht die katholische Kirche mit ihrer Frauen diskriminierenden Ordnung. Ob deren Aufrechterhaltung von einem staatlichen Gericht als ein legitimes Ziel eingestuft würde, scheint mir doch sehr fraglich. Für die Römerkirche wird es enger, denke ich.
? Wie verbindlich wäre ein derartiges Urteil für Rom?
! Wegen des Territorialprinzips wäre dieses Urteil nur in der Schweiz verbindlich. Gleichwohl hätte dieses Urteil Rückkoppelungseffekte vergleichbar etwa mit dem EU-Recht, das die Schweiz nicht nachvollziehen müsste, es aber dennoch tut, weil es sich aufdrängt, um keine handfesten Nachteile hinnehmen zu müssen.
? Wie wirkt sich diese Rechtsentwicklung auf die katholische Kirche insgesamt aus?
! Auch international steigt der Druck etwa durch die Anti-Frauendiskriminierungskonvention der Uno. Trotzdem hoffe ich nicht, dass die Kirche auf einen Gerichtsprozess wartet, sondern achtsam mit ihrem Glaubens- und Glaubwürdigkeitsauftrag umgeht. Insofern muss sie auf diesen Druck reagieren. Tut sie nichts, macht sie sich unglaubwürdig.
? In den beiden Basel ist die kirchliche Gleichstellungsinitiative zustande gekommen. Was ist damit erreicht?
! Damit steigt der gesellschaftliche Druck auf die Kirche, Geschlechtergerechtigkeit auch auf Kosten der kollektiven Religionsfreiheit durchzusetzen. Das ist ein Handlungsauftrag, von dem Signalwirkung ausgehen soll.
Denise Buser ist Juristin in Basel. Die 52-Jährige erhielt 2006 den Basler Wissenschaftspreis. 2005 wurde Buser Titularprofessorin für kantonales öffentliches Recht
Interview:Wolf Südbeck-Baur
www.aufbruch.ch