Eine Begegnung der katholischen Kirche mit dem weiblichen Geschlecht, Alphörnern und Schweizer Bischöfen. Von Patrick Griesser, Rom.

Rom trifft keine Schuld, wenn Frauen zumindest in naher Zukunft in der Kirche nicht mehr zu sagen haben. Die Stadt zeigt sich an diesem Wochenende von ihrer besten Seite. Fast ist es ein bisschen zu viel von allem: der Himmel strahlend blau, die Sonne stechend, die Gebäude ewig, schön und schon ewig im Verfall. Geschichtsträchtige Kulisse für einen Marsch Hunderter Katholiken, die sich mehr Rechte und Verantwortung für Frauen in der Kirche wünschen.

Er wirkt wie ein Protestzug in Sandalen, der sich an diesem Samstag über die glühend heissen Pflastersteine und durch enge Gassen von Kirche zu Kirche schiebt, bis er am Abend im Vatikan endet. Vorbei an Gucci und Dolce & Gabbana durch Roms Nobelgassen mit ihrer ganzen Grandezza ziehen annähernd 400 Katholiken mit von der Hitze gezeichneten, roten Gesichtern, Rucksäcken und ihren Bannern, auf denen «Kirche mit den Frauen» steht. Doch protestieren ist in der katholischen Kirche nicht vorgesehen. Das Heil kommt – wenn – von oben.

Pilgern ist da mitunter wie eine Ersatzhandlung. Werbung in eigener Sache, die eine bemerkenswerte Anziehungskraft zeigt. Abordnungen aus St. Gallen, Basel, der Region Vorarlberg, aus Ungarn und Lettland wandern mit – allesamt leicht zu erkennen an ihren karierten Outdoorhemden und den Sigg-Flaschen im Gepäck. Die Römer und Römerinnen erdulden solche Märsche durch ihre Stadt gleichmütig, sitzen in Cafés beim Cappuccino oder in ihrem Fiat und hupen gelegentlich, während sich der Tross doch einmal über eine befahrene Kreuzung schiebt.

Vor zwei Monaten zogen sieben Frauen und ein Mann von St. Gallen aus los. Ihr Ziel: der Petersdom. Dort wollten sie auf den Papst treffen. Und einige ihrer Begleiterinnen hatten womöglich bis zuletzt gehofft, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche unter der mächtigen Kuppel mit ihnen die Heilige Messe feiern würde. Die frühere Bundesrätin Micheline Calmy-Rey betete gar dafür, was dem Boulevard immerhin ein paar Zeilen wert war. Dieser Papst, der für Überraschungen gut ist wie wohl wenige seiner Vorgänger, er kommt nicht. Der Pontifex macht Ferien, das mag unglaublich klingen. Im Juli finden keine Audienzen statt, wie das Staatssekretariat des Vatikans den Pilgerinnen als Antwort auf ihre Bitte um ein Treffen mit Franziskus beschied. Im Sommer immerhin müsse eine mögliche Erholungszeit für Franziskus eingeplant werden.

2016-07-04 BAZ

Das Ziel vor Augen. Im Petersdom endete die Pilgerfahrt der Katholiken. Eine Taube kreuzte ihren Weg. Fotos Patrick Griesser

Baselbieter Delegation im Vatikan
Ob mit oder ohne Papst: In diesen Tagen in Rom bahnt sich keine Revolution von unten an. Womöglich aber ein Dialog. Franziskus hatte schon Mitte Mai im Gespräch mit Ordensfrauen in Aussicht gestellt, dass Frauen künftig mehr Verantwortung bekommen könnten. Eine Kommission soll in der Frühzeit der Kirche nach Hinweisen forschen, welche Rolle das Diakonat der Frau spielte. Die Frage ist, ob dieses Weiheamt – seit Jahrhunderten eine männliche Domäne – auch geöffnet
werden könnte. Und wie so oft in theologischen Streitpunkten entbrannte an diesem Papstwort ein Disput erneut, der bereits in der Vergangenheit Bücher gefüllt hat und weitere füllen wird.

An der Festlegung, dass nur Männer geweiht werden können, gebe es ja auch nichts zu deuteln, meint ein altgedienter deutscher Journalist, während er auf die Pilgerschar blickt, die sich vor der Kirche Santa Maria sopra Minerva versammelt hat, nur wenige Meter vom Pantheon entfernt.

Die Schweizer Katholiken ziehen mit ihren Anliegen dennoch nach und durch Rom und gelangen dabei auch an ungewöhnliche Orte – unerschrocken und aus Sicht des Vatikans womöglich auch ein bisschen aufsässig. In Blickweite der Kuppel des Petersdoms und unter dem gleichen Dach, wo auch der frühere Bischof von Basel und heutige Kardinal Kurt Koch lebt, haben die höchsten Glaubenshüter der Kirche ihr Zentrum. Seit 1566 wird von dem Palazzo del Sant’Ufficio aus der katholische Glaube gegen vermeintliche und echte Anfechtungen in der Welt verteidigt. Er ist womöglich die letzte Burg für die konservativen Katholiken, die sich durch die Veränderungen unserer Zeit bedroht fühlen. Breite Treppen, hohe Decken, Architektur ist Wirkung, eine jahrhundertealte Vergangenheit ebenfalls:  Die Glaubenskongregation ist noch etwas älter als ihr Sitz. 1542 wurde sie von Paul III. gegründet, damals trug sie noch die Inquisition im Namen und in die Welt hinaus. Die Urteile, welche an diesem Ort vorbereitet, beraten und verfasst wurden, beschäftigen Heerscharen von Historikern und besiegelten das Schicksal Tausender.

Heute ist das der Ort, zu dem Baselbieter Katholiken mit einer Bittschrift Einlass suchen. Bis zu dem Adressaten Kardinal Gerhard Ludwig Müller dringen sie nicht vor: Das war auch nicht zu erwarten. Der noch von Benedikt XVI. eingesetzte Kardinal ist der Präfekt der ältesten Kongregation des Heiligen Stuhls. Seine Debatten führt er mittels Buchpublikationen oder hinter verschlossenen Türen. Doch führen viele Wege hinter die Mauern des Vatikans, gerade für Schweizer. Die Baselbieter Delegation ist bereits am Freitag vor dem Pilgertreff angereist und an den stoisch blickenden Schweizer Gardisten, den Bewachern des Papstes, vorbeigelangt – immerhin bis zu Müllers Amtschef für Glaubenslehre, Pater Hermann Geissler, einem Spitzenbeamten des Kirchenstaates. Sie überreichen ihm eine Bittschrift im Namen der katholischen Kirchenbehörden beider Basel. Was harmlos klingt, ist kirchenpolitisch pikant.

Vor den Besuchern steht ein Fläschchen Santa Croce auf dem Tisch. Selbst die Erfrischungen muten katholisch an unter diesem Dach: Heiliges Kreuz, heisst die Quelle, aus der jenes Wasser stammt, das in der Glaubenskongregation ausgeschenkt wird. Womöglich sind es diese kleinen Feinheiten, die Pater Geissler, einem Geistlichen aus Tirol, ein stetiges Lächeln ins Gesicht zaubern. Ein Grund zur Freude dürfte der Besuch der Abordnung nicht sein: Schliesslich verlangen die Laien Dinge, die derzeit in der katholischen Lehre ausgeschlossen sind.

Geisslers Lächeln bleibt auch dann standhaft, als ihm der Baselbieter Landeskirchenratspräsident Ivo Corvini von dem komplexen System der Zuständigkeiten in der Schweizer Kirche berichtet. Diese kennt neben der geistlichen Leitung durch die Bischöfe und Rom auch vielerorts die staatliche Kirchenverwaltung mit dem Recht auf Volksinitiativen. Für die römische Kurie müssen Abstimmungen durch Gläubige in etwa so exotisch sein wie Frauen, die auf die Priesterweihe drängen.

Dramatischer Priestermangel
Die beiden Basel hatten im September 2014 in ihre jeweilige Kirchenverfassung aufgenommen, dass Frauen und verheiratete Männer die Möglichkeit bekommen sollen, Priester zu werden. «Ich kann mich nicht erinnern, dass uns jemals so eine Bittschrift erreicht hat», sagt Pater Geissler und lächelt. Schliesslich weicht das Lächeln doch der besorgten Miene, als der Allsch wiler Theologe Joseph Thali über das Anliegen der Gleichstellungs-Initiative berichtet: dem aus seiner Sicht dramatischen Priestermangel. Weniger Priester bedeuten weniger Geweihte, die Sakramente spenden: Notstand bei den Glaubensriten. Thali spricht mit Inbrunst von den Problemen in den Gemeinden. Allzu viel Zeit gewährt ihm der Pater nicht. Er will die Gruppe noch auf das Dach des Palazzo führen: Von dort oben betrachtet, schrumpfen die Massen auf dem Petersplatz zum Gewimmel, der Einzelne verschwindet.

Anliegen an die Kurie. Eine Delegation der Römisch-katholischen Kirche Baselland ist nach Rom gereist und hat im Vatikan eine Bittschrift an Pater Hermann Geissler (Mitte) von der Glaubenskongregation übergeben.

Anliegen an die Kurie. Eine Delegation der Römisch-katholischen Kirche Baselland ist nach Rom gereist und hat im Vatikan eine Bittschrift an Pater Hermann Geissler (Mitte) von der Glaubenskongregation übergeben.

Auch der Basler Josef Jeker, ein Initiant der Gleichstellungs-Initiative, ist tags darauf Teil der Bewegung auf dem Platz. Er sagt: «Wer die Initiative aus Basel hier in Rom vertritt, muss sich nicht verstecken oder schämen, er handelt im Auftrag der Kirche.» Der Verfassungsauftrag betreffe alle Katholiken in Basel. Ein Unterschied zwischen dem Basler und dem St. Galler Anliegen ist zentral: Die Idee der Pilger für eine Kirche mit den Frauen geht weiter als die angenommene Verfassungsänderung in den beiden Basel. Sie betrifft Frauen weltweit und stellt doch keine konkrete Forderung nach einem Weiheamt.

Die Pilger sind von St. Gallen aus mit einem Brief im Gepäck losgezogen, der für eine Mitsprache der Frauen in allen relevanten Fragen wirbt. Eine Pilgerin ist die Theologin Hildegard Aepli. Sie sagt: «Wir haben die Hoffnung, dass sich von der Basis her etwas bewegt.» Viele Frauen hätten das Gefühl, dass sie sich innerhalb der Kirche in einer Situation der Ohnmacht befinden. Sie bitten den Papst, dass Frauen «künftig mitwirken, mitgestalten und mitentscheiden können».

Das ist eine Form, die in Rom auch die beiden Schweizer Bischöfe Felix Gmür aus Basel und Markus Büchel aus St. Gallen unterstützen. Gmür will in Rom Präsenz markieren, um die Pilgerinnen und Pilger zu unterstützen. «Ich halte es für den richtigen Weg, wenn man die Frauen in alle Fragen einbezieht, die die Kirche betreffen», sagt er. Eben noch hat Gmür in der Basilika über die dort begrabene Heilige Katharina von Siena in der Kirche gesprochen – eine Kirchenlehrerin und Leitfigur für viele der Pilgerinnen.

Der St. Galler Kirchenmann Büchel steht vor dieser Basilika, als er von den Anfängen der Pilgerreise berichtet: «Als die Idee aufkam, hielt ich das Vorhaben für etwas verrückt.» Büchel sagt im Schatten der Kirche diesen Satz, der auch in der Schweizer Politik immer dann gebraucht wird, wenn die Lage ernst wird: Miteinander statt übereinander müsse gesprochen werden. Bei Büchel klingt das so: «Wir sollten in der Kirche mit den Frauen reden und nicht über sie beraten.» Schliesslich seien alle miteinander Kirche. «Es ist wahnsinnig wichtig, dass das alle spüren, und das muss in die Strukturen hineinwirken.»

Initiative sucht das Gespräch
Alle. Kirche. Strukturen. Wer keinen Sinn für die Sprache der Kirche hat, benötigt einen Wegweiser durch solche Sätze. Der Vatikan ist selten der Ort, an dem deutliche Worte fallen. Doch zum Glück gibt es noch die Musik. Immer wieder an diesem Tag bauen sich sechs Alphornbläser aus dem Zürcher Oberland in Kirchen oder an Sammelpunkten auf. Es sind nicht die Trompeten von Jericho, die Mauern zum Einsturz bringen – zu überhören ist das «Echo vom Frohberg» allerdings auch nicht. Hätte diese Pilgertage jemand erdacht, man könnte ihm oder ihr bei aller Ernsthaftigkeit den Sinn für Humor nicht absprechen. Das Spiel erfüllt selbst den Petersdom und übertönt dort das Stimmengewirr Tausender Besucher.

Dort in der Papstbasilika endet die Pilgerfahrt. St. Peter ist für viele Pilger ein Ort der Wünsche – und er bringt sie nahe zu Franziskus. Auch im übertragenen Sinn, wie Bischof Felix Gmür meint: «Gut an der Initiative ist, dass sie keine konkreten Forderungen stellt, sondern das Gespräch sucht. Sie folgt damit dem Weg des Papstes, der vergleichbar vorgeht. Franziskus stösst Prozesse an und lässt diese sich dann entwickeln. Was aus der Initiative resultiert, wird man sehen.»

Wünsche sind das eine, doch verändern das Beten und Pilgern tatsächlich etwas? «Beten hilft immer. Beten bedeutet, das Herz in Verbindung mit Gott zu bringen. Und das Pilgern ist beten mit den Füssen», antwortet Hildegard Aepli auf diese Frage.

Ein paar Schritte vom Ausgang des Petersdoms entfernt in einer Unterführung sitzt später an diesem Abend ein Mädchen, 14, vielleicht 15 Jahre alt. In den Armen hält sie ein altes Akkordeon, vor ihr steht ein Pappbecher mit ein paar Messingmünzen darin. Sie spielt stockend eine Melodie. Fast hinkend klingt das Lied: «When The  Saints Go Marching In.» Vor dem Palazzo der Glaubenskongregation schieben italienische Soldaten Wache. Leise sind die Töne auch bei ihnen zu hören.

Das Ziel vor Augen. Im Petersdom endete die Pilgerfahrt der Katholiken. Eine Taube kreuzte ihren Weg. Fotos Patrick Griesser
Anliegen an die Kurie. Eine Delegation der Römisch-katholischen Kirche Baselland
ist nach Rom gereist und hat im Vatikan eine Bittschrift an Pater Hermann
Geissler (Mitte) von der Glaubenskongregation übergeben.